Freitag, Februar 23, 2007

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Glashart ist ganz wo anders

Und Kusshände waren immer dabei, wenn die Lichtspieler unter die Leute gingen und kamen, uns den Glanz und die Helligkeit in die Häuser und Köpfe zu bringen, die Lichtgaukler, die Lichtbalancierer, die Lichtclowns und Lichtdompteure, die fahrenden Lichtgestalten, die Lichtmaler, die Lichtwerfer und -fänger, die Lichtnasen, Lichtsprudler und Lichtäuger, die Lichtbeschwörer und die Lichtküchenmeister und Lichtusionisten, viel fahrendes und lichtes Volk war damals unterwegs und hatte viel zu erzählen und gegen ein paar Münzen auch zu zeigen.


Das war ein Spaß, ein schöner Spaß, ein heller und netter Spaß, keiner von der Sorte, bei dem man morgens in aller Frühe ein lebendiges Ferkel ins Bett gelegt bekommt, oder einem einer die Räder vom Rad lockert und die Schrauben dafür in einem Säckchen an den Baum hängt, der auf deinem Weg zur Schule steht, das Du erstaunt und gerade noch rechtzeitig öffnest, bevor Dich das vordere deiner Räder verlässt und Du dich die nächsten Wochen nicht mehr auf den Weg zu machen brauchst, weil keiner deiner Knochen da ist wo er früher mal war. Jedenfalls waren die Lichtartisten eine der wenigen Abwechslungen im Jahr, die umso heftiger geliebt und erwartet wurden, als sie mehr oder weniger nach eigenen Gezeiten lebten. Manchmal kamen Sie früh im Jahr, manchmal später.


Als sie irgendwann gar nicht mehr kamen, herrschte eine lange Weile eine ziemliche Verwirrung. Bis der Bürgermeister die Sache in seine administrablen Hände nahm, das ganze Dorf zusammenrief und die Sache erklärte. Die Lichtgaukler seien ab sofort ausnahmslos verboten. Es wäre eine neue Zeit angekommen, in der bald jeder sein eigenes Licht haben könnte. Die Lichtgaukler und Lichtspieler hätten das bisher verhindert, indem Sie das Licht gefangengehalten und der Bevölkerung vorenthalten hätten. Jetzt aber würde die Regierung durchgreifen. Und bald schon würden aus der Stadt Techniker kommen und Drähte spannen, aus denen dann jeder sein persönliches Licht empfangen könnte, ganz nach Bedarf. Nein er wisse auch nichts Näheres, es gebe nur diese Nachrichten.


Es dauerte dann nochmals drei lange stumpfe Jahre, bis wir endlich das Licht in die Häuser und sogar welches auf die Straßen bekamen. Aber es war ein anderes Licht, kein Vergleich zu dem, welches die Gaukler und Artisten uns früher gezeigt und vorgeführt hatten. Das Licht, das wir jetzt bekamen, war müde, bereits halb verbraucht und immer schlecht gelaunt, kein Vergleich zu dem quirligen irrwischigen Wesen, dass sich in früheren Zeiten aus den Händen und Körpern seiner Meister materialisiert hatte und dann ringsherum um uns getanzt und gelaufen und über die Dächer der Häuser gesprungen war, dass es die hellste Freude gewesen war, ihm dabei zuzuschauen. Jetzt mit den Drähten war diese Lebendigkeit Vergangenheit. Zwar konnte jeder tatsächlich sein eigenes Licht mit nach Hause nehmen und jederzeit herauslassen oder wieder in den Draht zurück schicken. Aber die ursprüngliche Heiterkeit wollte bei dem neuen Licht nicht mehr aufkommen. Anders als vorher wurde deutlich, das es zum Licht immer auch Schatten gab. Und manchem von uns dämmerte sogar, dass eine neue Zeit nicht nur angenehme Seiten bereithalten würde. Und dass den Reden der Regierung nicht immer unbedingt zu glauben war.


Die Artisten blieben seit diesem Tag mitsamt ihrem Licht verschwunden. Als hätte der Erdboden sie verschluckt. Oder eines der zahlreichen Gräber, die damals überall vom Militär an den Strassenrändern neu ausgehoben wurden. Eine neue Zeit braucht eben ihre Opfer, sagte der Bürgermeister, und zog weiter an seiner neuen Pfeife. Über den Dächern baumelten lose Drähte. Über den Drähten zog lichtloses Grau.

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