Sonntag, März 18, 2007

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Zurücktreten! Bitte!

Herr Klamm und Frau Kleibisch fahren Bus. Den Reichstagsbus. Sieh mal, sagt Herr Klamm, da drüben, der Reichstag. Ist mir egal, murmelt Frau Kleibisch aus ihrer Trotzecke, ich habe kein Geld. Beide sehen mundwinkelnd durch das Perlenpanorama der Regenfenster den Draußenmenschen zu, die sich vom Sommerregen durchfeuchten lassen. Die haben nichts zu tun, wir haben nichts zu tun, denkt Frau Kleibisch. Wir haben alle nichts zu tun, denkt Frau Kleibisch auch. Dabei könnten wir es so schön haben, in unserem Bus. Aber der hält! Der hält schon wieder! Eine krumme Lanke nach der anderen!

Dann denkt die Frau Kleibisch noch, der Herr Klamm neben mir, der fährt Floß mit seinen Gedanken. Sie kann das ganze Holz sehen, wie es aus seinem Kopf rauskommt. Ganze Balken. Früher war alles schön. Früher war auch Erwin. Heute ist Bus. Frau Kleibisch malt mit ihrem Finger unsichtbare Muster in den Kleinkunststoff-Stoff ihrer Handtasche. Zu zweit ist es noch schöner, denkt sie auch noch. Aber das ist dann zuviel für Herrn Klamm, der die lauten Gedanken von Frau Kleibisch nicht mehr ertragen kann. Er zieht sich das restliche Holz aus dem Kopf, nickt kurz aber entschlossen, und springt aus dem fahrenden Bus in die Menschenmenge vor dem Reichstag. Alle lassen sich immer noch bis auf die Haut durchfeuchten. Es gibt Geld, und ganz umsonst.

Herr Klamm freut sich. Frau Kleibisch ärgert sich. Sie ärgert sich solange, bis sie ganz grün wird und an der nächsten Station aussteigen muss. Erwin, denkt Frau Kleibisch laut, Erwin hätte aber was gesagt. Sie stellt sich unter einen Baum und geht ganz langsam in der Umgebung auf. Bald ist Frau Kleibisch nur noch eine immergrüne Erinnerung. Nur ihre lauten Gedanken lärmen manchmal weiter über den Platz. Aber nur nachts, wenn keiner da ist, der sie hören könnte. Schon gar nicht Herr Klamm.

Der hat vor dem Reichstag gleich eine nette chinesische Millardärin kennengelernt, die ihn als achtzehnten Nebenmann in ihren Clan aufnimmt. Jetzt sind alle glücklich. Bis auf den Busfahrer. Und Erwin. Der sich nach zwölf Jahren im Schrank der einbeinigen Witwe fragt, wann er hier endlich wieder heraus darf. Der Bus fährt. Frau Kleibisch denkt. Erwin schläft. Die Stadt aber, die hat immer eine Freude.

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