Donnerstag, März 15, 2007

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Wie es zu einer großen Leere kam

Professor Schattenreich kümmerte sich um viele Angelegenheiten. Besonders um die Angelegenheiten des Lebens an sich. Auch seines eigenen Lebens. Wenn die Zeit dafür gerade da war. Und nichts anderes in der Nähe. Manchmal kümmerte sich das Leben aber auch um Professor Schattenreich. So wie an jenem Tag, als er sich allmählich vom Institut auf den Nachhauseweg machte.

Er war zerstreut. Er war sehr zerstreut. Sein Zerstreutsein wollte einfach nicht aufhören. Bald lagen einzelne Teile von Professor Schattenreich auf dessen Nachhauseweg herum. Niemand kümmerte sich darum. Keiner wollte den Professor auf seine mangelnde Körperbeherrschung hinweisen, oder die Einzelteile des Professorenkörpers aufheben und dem sich weiter zerstreuenden Professorenrestkörper hinterher tragen. Niemand bis auf die kleine Assistentin, die wie ein Springteufel aus einer dunklen Ecke des Nachhausewegs gesprungen kam und dem Professor folgte.

Mit ihrem roten Haar und der wellenförmigen Figur sah die kleine Assistentin zum Anbeißen aus. Wenn sie jetzt noch einen Donau-Akzent hätte vortragen können, es wäre augenblicklich um Professor Schattenreich und dessen Zähne geschehen gewesen. Leider verfügte sie nur über einen altschwäbischen Akzent. Leider mochte der gute Professor aufgrund schlechter Kindheitsverlebnisse keinen altschwäbischen Akzent. Leider konnte er sich auch keines Besseren belehren lassen. Hatte er doch beide Ohren und das bessere Auge längst zerstreut irgendwo hinter sich zurückgelassen. Professor Schattenreich murmelte etwas hinter seiner dunklen Hornbrille hervor, das sich wie Dankbarkeit anhören sollte, als die aparte Assistentin ihm einige seiner zerstreuten Teile in einer Papiertüte übergab. Er verschwand restbeinig humpelnd in der Dunkelheit seines bescheidenen 51-Zimmer-Anwesens.

Die kleine aparte Assistentin sah ihm lange traurig hinterher. Dann riss sie sich die Assistentinnenkluft vom aparten milchweißen Porzellanpuppenkörper und beschloss, in Zukunft den Verkehr an der Ecke Gleimnitzer/Märchenwaldchaussee zu regeln. Da kam einem wenigstens keiner mehr so nahe. Außer irgendwelchen Autos. Und wenn die sich zerstreuten, dann war aber was los! Aufräumen tat die Müllabfuhr. So wurde es gemacht.

Am nächsten Tag absolvierte die kleine aparte Ex-Assistentin die Verkehrsregelprüfung und begann sofort ihren Dienst. Professor Schattenreich aber wurde nicht mehr gesehen. Er hatte sich noch am gleichen Tag im Kellerbereich seines Anwesens verlaufen. Und restlos zerstreut.

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